Barriere-FREI-Tag im November: Barrierefreie Arbeitswelt

Die aktive Teilhabe am Arbeitsleben bedeutet für viele Menschen nicht nur finanzielle Unabhängigkeit, sondern auch aktive Teilhabe an der Gesamtgesellschaft. Doch was ist, wenn jemand trotz professioneller Fähigkeiten nicht (mehr) seinen Beruf ausüben kann? In Zeiten von (Fach-)Personalmangel kaum vorstellbar… Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen erleben diese Situation allerdings öfters.

Um eine möglichst barrierefreie Arbeitswelt zu schaffen, bedarf es einer Umgebung, in der Menschen mit Behinderung gleiche Chancen und Zugang zu Betätigungsmöglichkeiten haben. Gemäß dem Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft ist laut Arbeitsinspektorat die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten wie folgt definiert:
Barrierefreiheit ist erreicht, wenn alle Menschen das Lebensumfeld weitestgehend selbständig und sicher nutzen können und u.a. durch bauliche, gestalterische und organisatorische Rahmenbedingungen ‚nicht behindert werden‘.

Die Anforderungen an einen barrierefreien Arbeitsplatz sind je nach Beeinträchtigung sehr unterschiedlich, daher sollte die Umsetzung von Maßnahmen stets individuell angepasst werden. Möglichkeiten zur Umsetzung gibt es zahlreiche:

  • Sicherstellung der physischen Zugänglichkeit der Arbeitsstätten, Wege innerhalb eines Gebäudes, Gemeinschaftsräume, Toiletten, etc.
  • Bereitstellung technologischer Hilfsmittel wie Bildschirmlesegeräte, Spracherkennung, adaptive Software, etc.
  • (nicht nur) bei Mobilitätseinschränkungen helfen Vereinbarungen hinsichtlich flexiblem Arbeitsort (Stichwort: Home Office) oder Gleit-Arbeitszeiten (Stichwort: Shuttledienst)
  • Informationen am Arbeitsplatz für alle zugänglich machen, etwa dank Verwendung von leicht verständlicher Sprache, unterstützter Kommunikation durch Gebärden oder Objekten, Brailleschrift, etc.
  • Arbeitsplatz-Anpassungen durch spezielle Möbel, ergonomische Computerausstattung, Meetingräume mit Induktionsanlage, etc.

Nicht alles davon kostet viel Geld, vieles davon wird von staatlichen Stellen (Sozialministeriumservice, AMS, etc.) gefördert.

„Wichtig ist, dass Betroffene um ihre rechtliche Lage und über Fördermöglichkeiten Bescheid wissen, damit sie diese Informationen auch an Unternehmen weitergeben können“, so Cornelia Schachreiter, Angebotsleiterin bei OÖZIV Support Coaching und Beratung. Und weiter: „Diese finanziellen Anreize sind vor allem bei Neubewerbungen ein wesentlicher Anreiz-Faktor, da so Unternehmen die Sorge hinsichtlich möglicher entstehender Kosten genommen werden kann.“
Zum Beispiel kann der Dienstgeber für begünstigte Behinderte (so der Fachausdruck) einen gewissen Betrag des Entgelts ersetzt bekommen. Weiters gibt es zahlreiche Förderungen für die Anschaffung relevanter Arbeitsmittel.

„Ebenfalls entscheidend ist eine gute Kommunikation. Die unterschiedlichen Anforderungen von Betroffenen sind sehr individuell und weit gefasst – es gibt kein Patentrezept für gutes Gelingen. Wenn Probleme am Arbeitsplatz bestehen, ist der erste wichtige Schritt herauszufinden, worin das Problem besteht. Dieses benennen zu können und mich damit an die richtige Ansprechperson zu wenden ist eine wichtige Voraussetzung, um gemeinsam eine gute Lösung zu finden“, weiß Cornelia Schachreiter aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung.

In dieselbe Kerbe schlägt Hans Schmiedbauer, Mitarbeiter bei OÖZIV Support Coaching und Beratung: „Im Vorfeld müssen Betroffene meist die eigenen Barrieren abbauen und mit ihren gesundheitlichen Problemen umgehen lernen. Ist dies geschafft, kann eine (Re-)Integration in den ersten Arbeitsmarkt glücken.“

Weiters gibt es immer wieder Ängste der Betroffenen, ob sie ihr vorheriges Arbeitspensum betreffend Ausmaß oder Tätigkeitsbereich weiterhin schaffen können.

Betroffene müssen dabei nicht alles von sich preisgeben, aber arbeitsrelevante Umstände oder jene, die in die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber der gesamten Belegschaft fallen, sind jedenfalls bekannt zu machen.

In der Praxis stellt sich nicht nur auf dem Arbeitsplatz ein mögliches Problem: Fluchtwege per Stiege sind aufgrund einer entstandenen Gehbehinderung nicht mehr benutzbar; Autotüren lassen sich auf dem Firmenparkplatz nicht weit genug öffnen, um ein Aussteigen zu ermöglichen; Gemeinschaftsräume sind nur über lange (Irr-)wege erreichbar; WC-Anlagen sind nicht barrierefrei; etc. Es gilt also, nicht nur auf die Situation im gesamten Unternehmen zu achten.

Wieso also all diese Mühen für eine Minderheit?

Weil es sich hierbei um keine „Gefälligkeit“ für einen kleinen Teil von Menschen handelt, sondern um einen Rechtsanspruch, der die Allgemeinheit betrifft. Mehr als eine Milliarde Menschen – dies entspricht 15 Prozent der Weltbevölkerung (Quelle: World Report on Disability der WHO) – hat eine Behinderung. Bezieht man die Angehörigen der Betroffenen, die ganz oft Mitbetroffene sind, ebenfalls ein, wird schnell klar: Hier geht es nicht um eine „Minderheit“, sondern um einen großen Teil der Menschen.

Außerdem sind die Anforderungen von Menschen mit Behinderung bei genauerem Hinsehen meist gar nicht so enorm, wie anfangs vielleicht vermutet. Helene Fritsch, eine junge Frau mit Gehbehinderung, meint: „Ich brauche für meinen Arbeitsplatz einen höhenverstellbaren Sessel und einen Schreibtisch in passender Höhe (Anmerkung: im Normbereich).“ Um ins Büro zu kommen, nutzt sie den bereits vorhandenen Aufzug im Gebäude. Markus Hametner, der nach einem Unfall Bewegungseinschränkungen und Spastik hat, weiß: „Um meine Tätigkeit im Rechnungswesen am Computer effizient ausüben zu können, brauche ich eine ergonomische Tastatur und Maus. Auf eine Leiter steigen kann ich nicht.“ Notwendig war dies allerdings in seinem jetzigen Job noch nie.

Darüber hinaus ist Barrierefreiheit nicht nur eine Notwendigkeit für Betroffene, sondern auch eine Annehmlichkeit für viele weitere Menschen:
Speech-to-Text-Funktionen erlauben sofortige Verschriftlichung und steigern so die Effizienz; ein Aufzug bringt viele Personen rasch nach oben oder unten;
einfache Sprache oder Piktogramme ermöglichen klare und schnelle Informationsvermittlung; selbstöffnende Türen freuen auch mit Akten vollbepackte Teammitglieder; etc. Gefragt ist ein Umdenken, denn Barrierefreiheit erleichtert allen Menschen das Leben.

Fazit: Die Schaffung einer barrierefreien Arbeitswelt erfordert sowohl vom Unternehmen wie auch von den Betroffenen etwas Mut, Offenheit und Verständnis – aber sie ist von entscheidender Bedeutung. Nicht nur Betroffene profitieren davon, ihr Potenzial voll ausschöpfen zu können, sondern auch der Arbeitsmarkt gewinnt bzw. behält qualifiziertes Personal. Die so geschaffene Inklusion trägt zur Vielfältigkeit in der Kollegenschaft bei, die andere Sichtweisen einbindet und neue Ideen hervorbringen kann.